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Auto-Aufkleber
Zugegeben: Ich bin über 60 und älter. Und sollte wohl auch gelassener und weiser sein. Aber ich merke: Manchmal bin ich ein ungeduldiger Autofahrer. Wenn vor mir ein Auto mit 30 dahinschleicht, obwohl 50 erlaubt sind, dann macht mich das wahnsinnig. Ein Aufkleber auf so einem elend langsamen Auto vor mir hatte eine extreme Wirkung auf mich.
Da stand drauf: „I am disabled, please be patient“,
also „Ich habe eine Behinderung, bitte hab ein bisschen Geduld.“
Sofort habe ich bereitwillig Abstand gehalten und bin geduldigst hinterhergezockelt. Das langsame Fahren hatte auch sein Gutes: Ich konnte mir ein bisschen Gedanken machen. Ein Aufkleber hat bei mir die Haltung verändert. Nur weil ich plötzlich Insider-Wissen hatte, habe ich auch Verständnis entwickelt. Was, wenn auch andere Menschen ihre Aufkleber hätten. Zum Beispiel: „Ich habe gerade einen Streit hinter mir.“ Oder „Ich kämpfe gegen den Krebs“. „Ich habe meine Frau verloren.“ Oder „Ich bin finanziell am Ende.“ „Ich fühle mich wertlos.“ Oder „Ich wurde gerade niedergemacht.“ Wahrscheinlich kämpfen ganz viele Menschen mit irgendeiner Sache, von der nur wenige wissen. Sie tragen zwar keine Aufkleber, aber sie zeigen es trotzdem, weil sie nicht aus ihrer Haut können: Sie sind ungeduldig oder verschlossen, aufdringlich oder niedergeschlagen. Und klar, das kann nervig sein oder anstrengend. Das mindeste, was ich für diese Menschen tun kann, ist freundlich und geduldig bleiben und ihnen zugestehen, dass sie so sind wie sie sind. Denn wahrscheinlich gibt es gute Gründe dafür – auch wenn sie nicht auf einem Aufkleber stehen. Eine gute Woche – mit und ohne Aufkleber. Seien Sie behütet! Ihr Pfarrer Jürgen Bode
Schnelleinstiege


